Süchtig

Zugegeben, ich war schockiert. Gestern Abend sagte mir der Mann in meinem Leben ich sei süchtig. Süchtig??? Ich nehme weder verbotene Drogen, noch rauche ich und zu Alkohol habe ich ein unstetes Verhältnis. Ab und zu, aber selten zu viel.
Bisher war ich der Meinung, dass ich sehr gesund lebe, abgesehen von meiner Liebe zu Eis und Schokolade.
Drogen? Nein, in meinem Leben nicht. Oder eben doch? Der Mann in meinem Leben präzisierte. Du bist süchtig nach deinem Hund. Du könntest jede Sekunde mit ihr verbringen. Die drei Monate, in denen du keinen Hund hattest warst du unerträglich. Unerträglich??? Wirklich? Offenbar schon, ich habe offenbar schlecht geschlafen (es hat ja auch kein Vierbeiner meinen Schlaf bewacht), ich war anstrengend, anhänglich und nervig. Ja, zugebenen. Ich war nicht ausgelastet.
Aber Lotte eine Droge? Ich habe im Internet recherchiert, Hunde können einen ähnlichen Effekt im Hirn auslösen. Sie helfen uns besser durch schwierige Prüfungen als unsere besten Freunde, ihre Anwesenheit senkt in einem Büro den Stresslevel aller Mitarbeitenden, Hunde lesen uns und unterstützen uns. Ihre nervigste Eigenschaft ist vermutlich das laute Furzen im vollen Tram (und Bücher fressen, nicht wahr, liebe Lotte?)
In Amerika werden Hunde in Resozialisierungsprogrammen eingesetzt, mit grossem Erfolg.  Den Gefangenen werden unvermittelbare Hunde in ihrer Resozialisierung an die Hand gegeben, die sie ausbilden müssen, damit sie wieder in eine Familie eingegliedert werden können.
Aber so weit bin ich ja nun wirklich nicht.
Aber eine Droge? Ich brauchte mehr Meinungen und wo könnte man besser fragen, als während einer Vorlesung. Ich diskutierte also fröhlich mit meinen Mitstudis, natürlich war ich der Meinung, dass sie die Meinung des Mannes relativieren würden und mir sagen würden, dass ich zwar sicher nicht ganz dicht sei, aber ansonsten normal. Falsch gedacht. "You are a dog addict"... Zum Glück gingen sie nicht so weit, mir zu sagen, dass mein Hund mein Kindersatz sei (was sie wirklich nicht ist, ich möchte kein Kind haben, das sich in Kotze wälzt). Aber meine Droge, ganz sicher. Sie waren sich einig.
Ich muss es also einsehen, der Mann hat Recht. Ich wäre mit Hund entspannter, natürlich. Wie auf Drogen. Wenn man es so betrachtet, dann stimmt das tatsächlich. In der Anwesenheit von Hunden werden Endorphine ausgeschüttet, Glückshormone, Stress wird dadurch gesenkt. Durch Spazieren an der Luft kann man weiterhin Stress abbauen und man kommt, zwangsweise in Kontakt mit anderen Menschen.
So gesehen eine Art Droge, wenn man auf dieser Droge weiter schwimmt, dann driftet man meist in irgendwelche komischen Gruppen ab, die sich Hundeverein nennen (ich bin Mitglied im HSP Allschwil), dort wird dann der Droge so richtig gefrönt. Regelmässig treffen wir uns mit unseren Drogen auf dem Platz und laufen im Kreis, wir sprechen in einer Art Babysprache ("Feini,feini,feini"), tun Dinge, die kein normaler Menschen machen würde. Wer würde sich sonst schon freiwillig im Gras wälzen? Nur Irre und Drogenabhängige. Oder sich zum Affen machen, indem er den Hund wie ein Pferd aussen an einem Longierzirkel langlaufen lässt. Wer versteht schon, ausser Drögelern, die Geheimsprache, wenn man von BH, Agi, VPG, VPH, IPO spricht? Die Normalos haben doch tatsächlich das Gefühl man spricht einen Mix aus Krankenhausslang und willkürlich aneinandergereihten Konsonanten.
Ja, ich glaube ich bin eine von diesen Irren. Trotzdem habe ich mir die gesündeste Droge der Welt ausgesucht.
Am Ende konnte der Mann in meinem Leben seine schon fast böse Anschuldigung wieder gut machen. "Es ist ja gut, dass du Lotte hast. Ohne sie wärst du einfach nicht der Mensch, den ich so liebe."
Drogen verändern die Menschen eben manchmal auch ins Gute.

Ich fand heraus, dass einem in tiefen Kummer von der stillen, hingebungsvollen Kameradschaft eines Hundes Kräfte zufließen, die einem keine andere Quelle spendet.

Doris Day