Mantras eines Hundebesitzers

Ich habe ja meine ganz eigene Theorie, warum Hundebesitzer so sind, wie sie sind.

Für die Leser, die keine eigenen Hunde haben: Hundebesitzer sind meist sehr offene, kommunikative Menschen. Sie gehen bei Wind und Wetter raus und haben rosige Haut (das kommt daher, dass die Durchblutung angekurbelt wird, wenn die Gesichtspartien beim Winterspaziergang zunächst erfroren waren und dann wieder auftauen). Hundebesitzer sind ausserdem ausgesprochen nervenstark, unempfindlich gegenüber Gerüchen und liebevollen Hundeküssen im Gesicht, nachdem zwei Minuten vorher mit derselben Schnauze ein drei Wochen alter Fuchskadaver angekaut wurde. Ja, Hundebesitzer sind ausgesprochen spezielle Menschen.

Aber warum genau ist das so?



Meiner Meinung nach werden diese wahnsinnig guten Eigenschaften antrainiert. Sind wir ehrlich, wir meinen zwar immer, dass wir unsere Hunde erziehen. Aber ist dem wirklich so? Ist es nicht vielmehr so, dass unsere Hunde aus uns die besseren Menschen machen?



Wie schon gesagt, ich habe Lotte am 24. Dezember aus Anwil abgeholt. Sobald man mit einem Hund auf der Strasse auftaucht und selbiger nicht aussieht wie ein "Kampfhund" ist man ein ansprechbarer Mensch.
Ja, sogar morgens um halb 6 im Bademantel mit dreckigen orangen Crocs und einem Gesicht (meinerseits) das nach einer weiteren Stunde Schlaf (ungekämmte Haare, Brille) schreit wird man angesprochen.

"Ja, ist das denn ein Beagle?" Gopf, wenn du Depp das so wunderbar erkennst, warum fragst du dann?! "Ja, das ist ein Beagle."

"Wie alt ist er denn?" Was meinst du denn, wenn dieses kleine zuckersüsse Ding schon älter wäre würde ich hier sicher nicht stehen und "Lotte, pieseln" leise vor mich hinbeten, in der Hoffnung, dass es mich vom Schlafen im Stehen abhält "Sie ist 10 Wochen alt."

"Ja, dann haben sie ihn ja noch gar nicht lange." Nein, du Depp, weil sie vor 10 Wochen noch gar nicht auf der Welt war, du Neunmalkluges etwas. "Nein, erst seit Weihnachten." Verdammt, ich habe vergessen zu sagen, dass sie kein Weihnachtsgeschenk war. "Dann war er bestimmt ein Weihnachtsgeschenk." Ich habs gewusst....es kommt unweigerlich, immer. "Nein, war SIE nicht."

Juhu, der Hund hat endlich sein Piesel gemacht, was ich nicht akkurat belohnen konnte, weil mit der Mensch angesprochen hat. Das nächste Mal dann...Lotte nimmts mittlerweile gelassen und möchte auch morgens nicht unbedingt mit fremden Menschen kommunizieren.



Dies ist nur ein Beispiel von hunderten am Tag. Menschen mit Hund werden in der Stadt unweigerlich angesprochen und müssen auch bitte immer gut gelaunt Antwort geben. Der Hund muss immer gestreichelt werden und am liebsten werden noch alte Geschichten von den vor zehn Jahren verstorbenen eigenen Hunden erzählt. Nicht falsch verstehen, manchmal höre ich das wirklich gern. Aber bitte nicht an jeder Strassenecke. Ein schneller Einkauf? Nix da, völlig unmöglich. Ich weiss nicht, ob die Menschen meinen ein Hund wäre ein Mini Streichelzoo, der frei in der Stadt herumläuft und für jeden jederzeit offen haben muss.


Zugegeben, es war ein grosser Fehler meinerseits Lotte mit zu IKEA zu nehmen. Nach einem drei Minuten Einkauf (Heureka, mein Hund kann in der Jacke schlafen und zwar so, dass man sie nicht sieht. Das erleichtert die Sache ungemein), wachte meine wunderbare Beagledame an der Kasse auf. Hinter uns der personifizierte Alptraum in Form einer grossen Familie mit kleinen Kindern, die offensichtlich wegen Mama keinen Hund haben dürfen. (Warum auch immer, aber das ist ein anderes Thema...) Da schnappt sich der Vater die kleinste Tochter kommt zu uns nach vorne, guckt seine Tochter an und fragt SEINE TOCHTER, nicht etwa mich, ob sie den kleinen süssen Hund streicheln wolle. Es tut mir leid, wer mich kennt, weiss, dass ich in solchen Situationen nur schwerlich nichts sagen kann. Papa ging also leicht pikiert mit der Tochter wieder weg, ohne den Hund gestreichelt zu haben. Geht`s noch? Ich nehm doch auch nicht meinen Hund zur Eiscreme seines Kindes mit und frage meinen Hündin, ob sie mal probieren möchte.


Wie schon vorhin erwähnt muss man als Hundebesitzer mehrfach am Tag den gleichen Text parat haben, bitte immer recht freundlich. Sonst wird mal bald als dumme Kuh abgestempelt, was ich mir mit diesem kommunikativen kleinen Hund wirklich nicht erlauben kann. Es erinnert mich ein wenig an die Mantras der Gebetsmönche in Tibet, mein Text ist zugegeben wortreicher, trotzdem wiederholt er sich tagtäglich. Wikipedia sagt, dass das Aufsagen eines Mantras spirituelle und mentale Energie freisetzen kann.

Vielleicht liegt genau hier "der Hund begraben". Vielleicht sind Hundebesitzer genau diese lockeren, lässigen Menschen, weil sie einer offenen Religion angehören. Ich würde jetzt nicht von mir behaupten, dass ich an den Hundegott glaube, aber ähnlich einer Religion gibt ein Hund einem auch einen Sinn im Leben (und sei es nur die Maschine, die Essen gibt und rausgeht) und setzt dazu noch spirituelle Energie frei. Ähnlich der grossen Religionen wird auf die regelmässige Ausübung dieser Rituale besonders in der Anfangszeit (Welpenzeit) Wert gelegt, die Mantras werden sehr viel häufiger wiederholt als später im Hundeleben. Ich rede hier aus Erfahrung, das Interesse an Moritz liess schlagartig nach, als der Schädel dieses Hundes eine doch recht ansehnliche Grösse erreicht hatte. Trotzdem gab es wohl keinen Stadtspaziergang ohne nicht mindestens einmal auf diesen imposanten, wunderschönen Hund angesprochen zu werden.

Wie dem auch sei, der Was-auch-immer dieser lustigen Religion hat sich also gedacht, dass ich meine Mantraübungen schlecht gemacht habe und schickt mir jetzt das zuckersüsseste aller Beaglemädchen, die mit ihren braunen Augen alle bezirzt. Das einzige meiner Mantras, das mich wirklich nervt ist das Weihnachtsgeschenk-Mantra. "Nein, mein Hund ist kein Weihnachtsgeschenk. Nein, es ist nicht mein erster Hund. Ja, ich kenne die Verantwortung, die auf mich zukommt." Wobei, vielleicht hat es das Christkind besonders gut mit mir gemeint?

Genau wegen der Mantras sind Hundemenschen gelassen und kommunikativ, wie tibetische Gebetsmönche. Das Ding mit der Geruchsunempfindlichkeit wird später geklärt.


Wenn der Hund dabei ist, werden die Menschen gleich menschlicher.
Hubert Ries