Der tut nix...

"Der will nur spielen...." Nicht alle Menschen glauben das. Wie die meisten Hundehalter wissen. Ich habe einen Kollegen bei mir im Büro, der schon fast Todesangst vor Hunden und der sich auch an der neuesten Berichterstattung über Kampfhunde ergötzen kann. "Kann man einen Hund zu 100% unter Kontrolle haben?" Hat er mich letztens gefragt, weil ich in dieser "Kampfhundefrage" natürlich eine ganz eigene Meinung habe, in meinen Augen gibt es keine "Kampfhunde", es gibt einfach Rassen, die nicht in jedermanns/jederfraus Hände gehören. Dazu gehören für mich aber auch Border Collies, bestimmte Terrierrassen und andere Jagdhundschläge. Wenn sich jemand einen Hund zulegt, nur um damit aufzufallen, dann ist das in meinen Augen falsch. 

Aber wie dem auch sei. Die Frage beschäftigt mich natürlich. Die Antwort ist für mich nicht einfach zu geben. "Ja" ist in meinen Augen genauso richtig und genauso falsch wie "Nein". "Nein", denn ich kann Lotte, wenn sie mit anderen Hunden mitten im Spiel ist nicht kontrollieren. Ich kann sie zu mir rufen, aber ich kann ihr nicht sagen "jetzt musst du von unten links kneifen, dann hast du  ihn!" Aber das wäre ja eigentlich die komplette Kontrolle. Ich glaube aber, dass er auf den Teil mit dem Abrufen hinauswollte. 

Ich glaube es geht ihm auch gar nicht um die 100% Kontrolle, sondern darum, dass er offenbar Angst hat vor Hunden. Er empfand sogar Lotte als angriffslustig. Und meine Zwergdame ist wirklich alles, neugierig, frech, jung, ein wahrlich hinterlistiges Ding, wenn es um eine Spielaufforderung geht, aber sicher nicht angriffslustig oder aggressiv. Schon im Rassebeschrieb über den Beagle steht klar geschrieben, dass Beagle keinerlei Angriffslust oder gar Aggression zeigen. Sie wollte ihn einfach nur beschnuppern und ihrer naiven Art, die davon ausgeht, dass jeder Mensch sich sofort unsterblich in sie verliebt, einfach "Hallo" sagen. 
Jeder Hundehalter kann ein Lied davon singen, dass sich Hunde magisch zu Menschen hingezogen fühlen, die Angst vor Hunden haben oder eine starke Hundeallergie haben. Moritz zum Beispiel sich stets zu meiner Tante mit einer starken Hundehaarallergie hingezogen gefühlt. War die ganze Familie versammelt, dann lag er mit fast tödlicher Sicherheit in ihrer Nähe. Hunde merken sowas. Hundehalter leider manchmal nicht. Ich nehme mich da überhaupt nicht aus. 

Wenn ich im Wald spazieren gehe, dann ich natürlich stillschweigend davon aus, dass niemand ein Problem damit haben könnte, dass mein Hund frei läuft. Lotte geht an den meisten Menschen einfach vorbei ohne sie zu beachten. Aber merken die Menschen das auch? Wir sind ja schliesslich bekanntermassen ein Spezies, die nicht gerade für ihr Feingefühl anderer Rassen gegenüber bekannt ist. Und ein Mensch, der Angst hat, sieht hinter jeder Fellnase ein potentiell gefährliches Tier. Da kann man als Hundehalter noch oft betonen, dass der noch nie einen Menschen verspiesen hat. 
Mein Kollege sieht hinter jedem grossen Hund ein furchtbar gefährliches Tier, das wird natürlich durch die Berichterstattung in der Tagespresse noch verstärkt, schliesslich ist eine Schlagzeile "Hund tötet Mädchen auf dem Spielplatz" ein Verkaufshit, der Titel "Pitbull als Therapiehund zugelassen" eher nicht. Wir wollen Blut, Sex und Spiele. Nicht besser als die alten Römer. Die aktuelle Bissstatistik wird dabei ebenso verschwiegen, wie der Fact, dass der achso angepriesene Familienhund Labrador auf dieser Statistik ziemlich weit vorne rangiert. Sobald ein "potentiell gefährlicher Hund" zubeisst gibt es ein lautes Rascheln im Medienwald, oder haben Sie etwa in letzter Zeit von einem kinderzerfleischenden Labbi gelesen.. Das verstärkt wiederum die Angst derer, die sowieso schon Angst haben. Hundebesitzer lässt diese Statistik meist kalt. Der Mediendschungel lässt in seiner Berichterstattung auch sehr selten einfliessen, dass sich viele Hundeexperten GEGEN Rasselisten eingesetzt haben und FÜR besserer Ausbildungen der Hundehalter. Das Geld, was man in die Kontrollen steckt würde man besser den Hundeschulen zu Gute kommen lassen. 
Kleine Anmerkung am Rande: Die Bordeauxdogge taucht auf vielen dieser Listen auf, aber die grösste Gefahr, die in meinen Augen von diesen Hunden ausgeht ist die, dass sie einen zu Tode sabbern können. Hingegen ist kein Terrier vermerkt und jeder kennt mindestens eine Geschichte von so einem kleinen Vieh, dass sich in eine Wade verbissen hat. Diese Listen sind nicht ausgewogen und nicht nachhaltig recherchiert. Auszug aus Wikipedia zum "Am Staff", DEM Kampfhund überhaupt:

Wie bei allen Rassen, die allgemein zu den Kampfhunden gezählt werden, herrscht auch beim American Staffordshire Terrier eine Kontroverse über die rassebedingte Gefährlichkeit für Menschen. Kritiker gehen von einem übersteigerten Angriffs- und Kampfverhalten aus.[4] Eine vergleichende Studie von Listenhunden mit Golden Retrievern kommt dagegen zu dem Schluss, dass signifikante Unterschiede im Aggressionsverhalten nicht existieren.[5] Der American Staffordshire Terrier steht in der Schweiz in allen 12 Kantonen, die eine Rasseliste eingeführt haben, auf dieser Liste; seine Haltung ist in diesen Kantonen bewilligungspflichtig. In den KantonenGenfWallis und Zürich sind Haltung, Zucht und Einfuhr verboten.

In meinen Augen werden durch diese Verbote die Hunde für diejenigen interessant gemacht, die sich sowieso schon auf einer Seite der Gesellschaft aufhalten, die man nicht unbedingt fördern möchte und für diejenigen uninteressant gemacht, die das Potential hätten, einen solch supersportlichen, anhänglichen, lustigen Hund zu halten. Ich finde sie lustig. Wer schonmal einen Am Staff hat spielen sehen, der weiss, dass auch diese Hunde, in den richtigen Händen, Spasskanonen sind. Kein Hund beisst grundlos zu. 

Wie dem auch sei. Als Hundehalter muss man sich einfach damit auseinandersetzen, dass wir diese Problematik haben und dass wir vermehrt mit Menschen zu tun haben, die Angst vor Hunden haben. Besonders bei Kindern ist es eklatant, dass es immer mehr Eltern gibt, die Angst vor Hunden haben und die diese Angst an ihre Kinder weiter geben. Kinder nehmen Ängste ihrer Eltern sehr ernst und werden noch grössere Ängste entwickeln. Ich habe letztens ein Kind gesehen, dass heulend vor Lotte weggelaufen ist, weil sie solche Angst hatte.
 
Was können wir nun also tun, denn auch diese Menschen möchten einen Waldspaziergang machen könne, oder joggen gehen, ohne alle 5 Meter Angst haben zu müssen. Eine Lösung wäre, die Hunde dort an die Leine zu nehmen, wo sie an die Leine gehören. Nämlich auf dem Vitaparcours, auf der Finnenbahn, in der Stadt, an Mountainbikestrecken. Hunde haben dort freilaufend nichts verloren. Es gibt bei uns im Wald einige Wegstrecken, die sowohl vom Vitaparcours als auch von "normalen" Wegen benutzt werden. Hier denke ich, dass Rücksicht geboten ist. Hunde sollten lernen fremde Menschen zu ignorieren. Auf der anderen Seite sind Orte, wie zum Beispiel die langen Erlen ganz einfach Hundegebiet. Dort dürfen die Hunde das ganze Jahr über freilaufen. Jemand der Angst hat, hat dort einfach nichts verloren oder muss sich einfach damit abfinden, dass Hunde dort freilaufen. Im Sommer kann man ohne weiteres im Wald joggen gehen, denn von April bis August ist ja sowieso Leinenzwang angesetzt. Im Winter kann man ohne weiteres am Rhein joggen gehen, dort sind nur sehr wenige Hunde unterwegs. Es ist nunmal einfach so, dass es hier um Umkreis Wälder gibt, die von allen möglichen Gruppen genutzt werden wollen. Das macht es so schwierig auch in diesem Fall wieder. Ich möchte Lotte auf keinen Fall das ganze Jahr an der Leine haben müssen, nur weil es einige Eltern verpasst haben ihren Kindern beizubringen, dass nicht jeder Hund ein potentieller Mörder ist. Auf der anderen Seite verstehe ich die andere Gruppe natürlich auch, die sagt, dass es doch auch für sie eine Erholung im Wald sein soll. Ein Verbot von bestimmten Hunderassen löst dieses Problem nicht, es facht es nur noch weiter an. 

Ich habe mir angewöhnt, dass ich Lotte an die Leine nehme, wenn mir Menschen entgegenkommen, die so aussehen, als hätten sie Angst. (Sehr einfach an aufgerissenen Augen zu erkennen, die Lotte fixieren). Oder ich rufe sie kurz zu mir und lasse sie sitzen. Meist bedanken sich die Leute dafür, wenn man dann nachfragt, ob man den Hund weiter laufen lassen könnte ist das kein Problem. Aber Hunde, die ihrem Herrchen weit vorauslaufen, nicht hören und sich auch noch auf fremde Menschen stürzen sind ein absolutes no-go. Am besten auch noch abgeleint auf dem Vitaparcours. Da bekomme ich als Hundehalterin auch die Krise. Rücksicht von beiden Seiten, gepaart mit ein wenig Menschenverstand würde uns allen wirklich sehr weiterhelfen. Rücksicht heisst aber auch, Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen und unsere Hunde einfach so gut zu erziehen, dass sie Rücksicht auf andere Menschen nehmen. 

Lotte muss das auch lernen, das stinkt ihr halt manchmal. Und es keine Erziehung mit Kommandos, sondern Verhaltensweisen, die wir auch alle gelernt haben. Lotte hat zum Beispiel verstanden, dass sie, wenn wir am Tisch sitzen und essen, einfach in ihrem Körbchen zu liegen hat. Essenzeit ist nicht Spielzeit. Oder dass sie fremde Menschen einfach ignorieren soll draussen, den Teil mit dem Anspringen war ziemlich schwer, aber auch das versteht sie mit jedem Tag besser. Wenn man nach Hause kommt, dann wird nicht stürmisch begrüsst, sondern sie wartet, bis man sie ruft. Es sind so kleine Dinge, wie bei kleinen Kindern, die einfach geübt werden müssen, ohne dass man sie benennt. Es war für mich auch nicht leicht, sie beim Hereinkommen einfach zu ignorieren, nach einem langen Bürotag wünsche ich mir nichts mehr als Lotte zu knuddeln. Sowas müssen Hunde in meinen Augen auch draussen einfach lernen, damit die Menschen, die Hunde eben nicht so gern mögen, ihren Alltag für uns so weit einschränken, dass wir es alle geniessen können. 

Es darf für mich gar nicht so weit kommen, dass jemand, wie mein oben genannter Kollege sagt: "Wenn es nach mir ginge, dann würde man sofort alle Hunde einschläfern." So jemand hat in meinen Augen einfach nicht verstanden, dass ein Hund, für jemanden wie mich ein essentieller Teil meines Lebens ist, der mein Leben bereichert, verschönert und mir eine Lebensqualität gibt, die ich ohne Hund nicht hätte. Er erzählt mir ab und zu seine neuesten Erlebnisse mit Hundehaltern und weil ich weiss, wie wenig er Hunde mag verstehe ich diese Aussage sogar von seinem Standpunkt aus. Er fühlt sich oft bedrängt, traut sich aber auf der anderen Seite nicht zu den Hundehaltern hinzugehen und sie auf seine Seite aufmerksam zu machen. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Hundehalter seinen Stress gar nicht bemerken, denn die Hunde sind ja nicht böse zu ihm. Sie nehmen nicht aus Bösartigkeit keine Rücksicht, sondern weil sie sich der Thematik gar nicht so bewusst sind. Ich würde mir wünschen von anderen Waldteilnehmern ein Feedback zu bekommen, bevor ihnen der Kragen platzt wegen mir. 

Kurz mehr Rücksicht und Verständnis auf beiden Seiten, gepaart mit einer grösseren Fähigkeit zur innerartlichen Kommunikation würde uns Menschen klar helfen. Da können wir uns wirklich noch etwas von unseren Hunden abschauen. Vermutlich bleibt dies ein frommer Wunsch, aber wenn sich nur einige wenige Blogleser ein bisschen mehr auf unsere Mitmenschen achten, wer weiss, vielleicht wird es dann für uns alle ein bisschen leichter?

Der eigene Hund macht keinen Lärm. Er bellt nur. 
Kurt Tucholsky