Menschen tun wunderliche Dinge

Wenn man in unserer Welt lebt, dann muss man sich zwangsweise fragen, wie unsere Hunde diese Welt sehen. Lotte ist nicht besonders gross, also sieht sie vermutlich eher die unteren Teile der Welt. Wie erklären sich Hunde unsere Welt? Wie erklären sie sich Autos, Strassenbahnen, Busse, Velos, Mofas? Mofas und alle übrigen Artverwandten findet Lotte übrigens nervtötend. Ich vermute es liegt an der Frequenz des Motors, die ihr furchtbar in den Ohren dröhnt. Die Tram hingegen findet sie so spannend, dass sie vermutlich davor laufen würde. Wahrscheinlich, weil wir viel Tram gefahren sind. Dabei hat Lotte gelernt, dass ich offenbar eine Zeitmaschine bedienen kann. Wir steigen ein, es dauert eine kleine Weile, steigen aus und sind an einem anderen Ort. Sounds like living in the future. Der Zwerg sieht ja auch nicht, dass es sich draussen bewegt. Den grössten Irrsinn findet sie aber vermutlich, wenn wir an einem anderen Ort, zu dem wir mirabulös hingekommen sind auch noch Menschen treffen, die sie kennt. Per Zufall?! Wie kann das sein...
Ein völlig perplexes Gesicht hatte Lotte drauf, als meine Mama, die sie nur aus Bielefeld, also einem völlig anderen Ort, kennt, in unserer Wohnung stand. Ganz kurz war es da, aber gut sichtbar. Danach denken sich Hunde wohl: Es ist halt so. Sie nehmen das Leben, wie es kommt.

Wie sonst würden sie sonst jemals wieder in ein Auto einsteigen? Würde mich jemand in ein ruckelndes, schaukelndes Teil verfrachten, dass mich an einen völlig anderen Ort bringt, ohne dass ich weiss, was um mich herum passiert (denn genau so geht es ja unseren Hunden im Kofferaum, Beifahrerraum, Hundebox...), ich würde nicht mehr einsteigen. Lotte fand nur ihre erste Autofahrt richtig doof. Da wurde lamentiert, was das Zeug hielt. Normalerweise wird man immer vor Mageninhalt wiedergebende Welpen gewarnt, die man möglichst schonend transportieren soll. Lotte war von Anfang an anders, das Gejaule war wirklich nicht zum Aushalten. Heute liebt sie Autofahren, Hunde sind nämlich, im Gegensatz zu uns völlig vertrauenswürdig. Wenn Lotte dabei ist, dann geht sie davon aus, dass etwas gutes passieren wird. Oder wenigstens etwas Fressbares dabei rausspringt. Deshalb ist es besonders verwerflich seinen Hund an der Autobahn zurückzulassen (mal abgesehen davon, dass man es sowieso nicht macht).

Wie immer schweife ich ab, Hunde lernen ja nicht nur unsere Vehikel kennen. Nein, auch unseren unerschöpflichen Vorrat an Futter, den wir nur in Kleinstmengen herausrücken. Wie schon im vorherigen Beitrag erwähnt würde Lotte sich viel mehr für Eiscreme und Schokolade als Hauptfutter erweichen können. Dummerweise rücke ich es einfach nicht raus, egal wie sehr sie mich anbettelt. Lerneffekt, Menschen kommen nicht nur wie durch ein Wunder an einen anderen Ort, nein, sie können auch Futter herstellen. Aber Lotte nimmt das gelassen hin.

Ein weiteres Wunderding müssen Zigaretten sein. Ich rauch selbst nicht, aber Simone sitzt hin und wieder in der Küche und qualmt eine. Lotte immer dabei. Sie liebt Zigarettenrauch und steht dafür sogar von ihrem Platz auf, wenn sie eigentlich hundemüde ist. Vielleicht ist das aber auch nur eine Randerscheinung, wer fand die Raucherecke nicht auch wesentlich interessanter als den Rest des Schulhofes. Eventuell habe ich nach der Pubertät wieder einen Nichtraucherhund. In den Opa Ferien war Lotte sogar so beleidigt, dass sie nicht mitrauchen durfte, dass sie in die Wohnung gepieselt hat. Ein Revoluzzermädchen halt.

Hunde müssen manchmal trotz ihrer guten Nase das unglaublich Gefühl haben, dass Menschen einfach magische Kräfte haben müssen. Wenn ich ehrlich sein soll, dann freue ich mich auch immer diebisch, wenn mir wieder ein solcher Geniestreich gelingt. Ein Beispiel dafür ist wiederum die Tram, sie kommt in regelmässigen Abständen und klingelt ab und zu vor unserem Haus. Diesen Ton findet Lotte mittlerweile völlig normal, aber eine zeitlang empfand sie ihn als unglaublich lästig. Irgendwann habe ich es genau getimt geschafft ein Tadel mit einer Glocke zu verbinden, das hat richtig Eindruck gemacht.

Das fieseste, was ich in meinem magischen Koffer aber habe sind für Lotte Elektrozäune. (Gegen jede Art von Elektrohalsband, Schocker oder was auch immer zur "Erziehung" eingesetzt werden könnte verwehre ich mich aber entschieden, niemals würde mir so etwas ins Haus kommen.) Aber sie sind eine wundersame Waffe gegen das Jagen von Kühen und Pferden auf einer Weide, sogar schon gegen das widerrechtliche Betreten der Weide. Einen ganz kurzen Augenblick war Lotte nämlich vor nicht allzu langer Zeit von der Idee angetan, der jungen Färse auf der Weide hinterherzujagen. Rückruf zwecklos, denn die Kuh rannte buckelnd über die Weide. Das kann ja nur eine Einladung sein. Wenige Augenblicke nach meinem zwecklosen Rufen tippte Lotte mit ihrem aufgestellten Schwanz den Elektrozaun an, der Blitz schlug ein. Lotte fuhr herum, wie von der Tarantel gestochen und kam mit eingezogenem Schwanz zu mir zurück. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, manchmal ist Gott eben doch mit den Hundebesitzern.  Moritz lernte eine ähnliche Lektion auf eine schmerzhaftere Art, als Jungrüde hatte er die Angewohnheit wirklich alles anzupieseln. Als ich ihn von den Elektrozaun wegjagen wollte traf der Strahl genau den Zaun. Moritz hat danach nie mehr auf Zäune gepieselt. Lotte kläfft Kühe unterdessen nur noch schnell an, hochempört. Das ist mir reichlich egal und insgeheim muss ich immer grinsen, wenn ich das empörte Beaglegesicht sehe, weil sie nicht für Geld und gute Worte je wieder eine Kuhweise betreten würde.

Wenn Gott einen Hund misst, zieht er ein Band um das Herz, statt um den Kopf. - ERNST R. HAUSCHKA