Opportunismus pur

Gibt es so etwas wie puren Opportunismus? Ja, ich erkenne ihn klar und deutlich in meinem und den mich umgebenden Hunden. (Natur pur, Opportunismus pur? Der Zwiebelfisch hat eine wunderbare Glosse dazu geschrieben, aber da wir alles pur zu uns nehmen, nehmen wir doch heute auch den puren Opportunismus).
Da dies zum Glück kein wissenschaftlicher, sondern ein rein überspitzter, frei von jeglichen Plagiaten und deren Vorwürfen und auch sonst überhaupt kein repräsentativer, sondern eher ein persönlicher Blog ist, darf ich auch Wikipedia zitieren. Es ist wunderbar einfach, schnell gefunden und manchmal herrlich unwissenschaftlich kurz. In einer wissenschaftlich so unerheblichen Arbeit wie dieser durchaus angebracht.

Der Opportunismus stellt die Zweckmäßigkeit über die Grundsatztreue.


Meine Hunde sind allesamt Opportunisten. Keiner war da eine Ausnahme, sogar mein geliebter Labrador nicht. Lotte ist mir mittlerweile genauso sehr am Herz festgewachsen wie er, aber auch sie ist eher kompromissbereit in bestimmten Gefühlslagen. Lotte ist prinzipiell ein sehr treuer Hund, so treu, dass sie sich nur selten im Wald zwischen den Bäumen verläuft und wenn gerade nichts aussergewöhnliches passiert gern bei mir ist und mit mir Blödsinn macht.
Aber es gibt Ausnahmen.
Lotte ist ein Männerhund, mit ihren wunderbar geschminkten Augen (man könnte meinen, sie wäre bei der Schönheit doppelt und beim Gehorsam nur schnell angestanden) bezirzt sie jeden Mann. Hund oder Mann. Auch Meinen, die kleine Ziege. Sie liebt ihn, abgöttisch. Er mag sie auch, aber nicht ganz so gern, wie sie ihn. Sobald er reinkommt wird sich nach ihm umgedreht, sie ist dabei schneller als ich, dann springt sie an ihm hoch, zeigt ihre Schokoladenseite. Sie macht den Clown mit ihm, so wie sie es nie mit mir machen würde. Warum? Schlicht, er wollte sie nicht. Er kümmert sich nicht immer um sie, er ist interessant, weil nicht immer verfügbar, ausserdem ein wunderbarer Mitschläfer (Lotte ist ein Langschläferhund, alles vor 10 Uhr ist persönliche Beleidigung. Der Mann in meinem Leben horcht morgens auch gern lang am Kissen, da haben sich schon zwei gefunden). Da kann man als Hundehalterin einfach einpacken. Ich kümmere mich den ganzen Tag liebevoll um dieses kleine Gerät, gehe mit ihr raus, spiele, gehe in die Hundeschule und plane mein Leben rund um den Hund. Der Dank? Lotte würde niemals Kartoffeln ordinär aus meiner Hand fressen, der Mann in MEINEM Leben könnte ihr sogar Reiswaffeln geben, die sie mit grösster Zärtlichkeit aus seiner Hand pflücken würde, um sie dann vor seinen Füssen zu verspeisen. (Anders als andere Beagle hat Lotte kein quasireligiöses Verhältnis zu Essen entwickelt, sie frisst längst nicht alles, Staubtrockenes? Niemals!) Nein, das ist nicht fair.
Woran diese Affenliebe liegt? Keine Ahnung. Auch Mo liebte den Mann in meinem Leben, das habe ich ja noch leidlich verstanden. Die beiden waren wie zwei Verschworene gegen mich, die beiden Gentleman, so schien es, haben hin und wieder hinter vorgehaltener Pfote über meine Unzulänglichkeiten gelästert und sie mit stoischer Ruhe ertragen, ich ihre aber auch. Moritz hätte Tango im Stehen getanzt für ein ordinäres Leckerchen aus seiner Hand, die beiden waren wirklich herzerweichend.
Ich mag den Mann ja auch, sehr sogar, sonst würde er meine Wohnung nicht bevölkern dürfen, aber er will gar nicht so viel mit meinem Viechern zu tun haben. Sie lieben ihn trotzdem.
Wenn andere Menschen sich nur ein wenig für meine Hunde interessieren, dann flippen diese Viecher aus. Sie winden sich um fremde Beine, als hätten sie seit Monaten keine Streicheleinheit empfangen. Es wird DER Hundeblick aufgelegt, der einzigartige, der Kopf leicht zur Seite geneigt, in den Augen tritt ganz leicht das Weisse hervor, durch den Blick von unten links, die Ohren hängen auf Halbmast. Diese Masche können meine Hunde perfekt und Lotte perfektioniert das weiter. Sie ist einfach noch nicht zurückhaltend genug, wenn sich der Mensch wirklich ganz und gar nicht interessiert, dann springt sie hoch. Ein klarer Kardinalfehler, aber ich werde den Teufel tun und ihr das austreiben, damit versaut sie sich die Masche. Sie wirds schon merken. Gestern wollte sie dem Mann wieder auf dem Schoss springen, weil er sie für ganz kurze Zeit am Tisch ignoriert hat. Sie hätte ja auch zu mir kommen können, bei mir hätte sie natürlich auf den Schoss gedurft (natürlich erst nach dem Essen), aber beim Mann könnte immer etwas herunterfallen, da nimmt man in Kauf ganz abgewiesen zu werden, anstatt sich ein Leckerchen entgehen zu lassen. Ausserdem treibt sie Schabernack mit ihm, wie ein kleines, freches Mädchen, aber nicht so frech, dass er sie nervig finden würde.
Ein wohl erzogener Hund, dem der Mann Käsestückchen auf die Pfoten legen kann ohne dass sie sie nimmt, geben ihm das Gefühl er sei ein Löwenbändiger. Er nutzt das aus und Lotte spielt mit, nicht aber ohne ihn irgendwann anzupfeifen, dass es genug wäre. Er wird dann mit ihrem Divablick bestraft und angebellt, eigentlich hasst sie es, wenn sie mit anderen Menschen zusammenarbeiten muss. Ich habe sie letztens in der Hundeschule einem meiner Kollegen in die Hand gedrückt, der sie nach einer Viertelstunde entnervt zurückgab.. Er war offenbar nicht gut genug und wurde vollständig ignoriert. Entweder waren es nicht die richtigen Leckerchen, oder er war schlicht zu alt. Lotte mag Männer im Alter zwischen 20 und 30. Leider könnte ich mit ihr an meiner Seite keinen vernünftigen Flirt anfangen (falls ich es denn brauchen würde), schliesslich stehe ich meistens dreckig da, um es meiner Diva recht zu machen.
Wenn es allerdings um existentielle Dinge geht, wie Fressen oder Aua, da kommt die Dame dann doch immer noch gern zu mir. Sie würde sich Schmerzen nie vor anderen anmerken lassen, wenn sie dann aber warm und sicher auf meinem Arm sitzt, dann kann ich dafür angefaucht werden. Ich glaube ich habe über das Theater, als Madame sich ihren Nagel ausgerissen hat nicht berichtet, aber es war furchterregend. Nicht, dass wir es bemerkt hätten, als es im Garten passiert ist (jeder andere Hund hätte geschrien wie am Spiess), nein, erst in der Küche, als sie mich sah, fing sie an zu humpeln. Über das Theater hinterher beim Tierarzt mag ich fast nicht berichten, aber wir brauchten drei Personen, um die Dame festzuhalten, dabei war das Schlimmste schon vorbei. Wir wollten nur einen Verband anlegen. Ich bin auch prinzipiell gut genug böse angeschaut zu werden, wenn beim Tierarzt die Spritze weh getan hat, ich kann ja im Grunde genommen nichts dafür, aber der Tierarzt wird am Ende sicher noch einmal angewedelt, nur weil es dort immer Frolic gibt. Mich ignoriert die Diva einen Tag lang.
Ich nehme es in Kauf und amüsiere mich, irgendwann erinnert sie sich doch wieder an ihre Grundsatztreue.


Opportunismus ist die Kunst, mit dem Winde zu segeln, den andere machen. (Alessandro Manzoni)